Im Dezember konnte ich den Mercedes-Benz EQE im Alltag testen, mich erreichte die Version „350+“. Diese wird aktuell nicht mehr angeboten, aber sie ist mit dem normalen 350er vergleichbar. Momentan gibt es auch nur den EQE 350, optional auch als 4Matic mit zwei Elektromotoren. Danach kommt schon die AMG-Version.
Eckdaten? 4,9 Meter Länge, 215 kW (292 PS), 90 kWh großer Akku mit über 500 km Reichweite und eine Ladeleistung von bis zu 170 kW am Schnelllader. Aktuell startet der Mercedes-Benz EQE bei 84.936,25 Euro, aber wer den Konfigurator von Mercedes-Benz kennt, der weiß, dass man die 90.000 Euro sehr schnell knackt.
Das ist also eine Elektro-Limousine in der Premium-Klasse und sie nutzt eine ganz neue Elektro-Plattform von Mercedes-Benz, die Electric Vehicle Architecture. Der EQS machte als Flaggschiff und elektrische S-Klasse den Anfang, der EQE ist die elektrische E-Klasse der Zukunft (eine elektrische C-Klasse kommt erst 2024).
Mercedes-Benz EQE: 10 persönliche Stichpunkte
- Fangen wir mit dem Design an, an das ich mich so langsam gewöhne. Doch auch nach zwei Wochen im Alltag bin ich kein Freund dieser neuen Designsprache der EQ-Modelle. Wobei mir Seitenlinie und Heck gefallen, nur diese Front, die voll auf einen guten cw-Wert und somit eine gute Effizienz ausgelegt wurde, ist nicht so ganz mein Fall. Subjektiv, ich weiß. Dafür ist die Verarbeitung wie gewohnt auf einem hohen Level. Doch dieser Eindruck verfliegt schnell, wenn man sich in den EQE setzt.
- Denn die Qualität hinkt an sehr vielen Stellen und ich wollte wissen, ob ich da überreagiere, aber bei ca. 100.000 Euro habe ich auch mein Umfeld gefragt. Die Druckpunkte für Dinge wie die Tasten unter dem Display, die Sitzheizung an der Tür oder die Tasten auf dem Lenkrad wirken schwammig und billig. Hartes und glänzendes Plastik mit bescheidenen Druckpunkten macht keinen hochwertigen Eindruck. Und der negative Höhepunkt ist das Lenkrad mit der bisher vielleicht schlechtesten Touch-Bedienung, die ich bisher getestet habe. Ich hatte bisher noch nie so viele Fehleingaben bei der Bedienung und blind bedienen war auch nach zwei Wochen nicht möglich. Da erwarte ich in dieser Preisklasse deutlich mehr.
- Was mich aber abgeholt hat, ist die Fahrdynamik. Wobei ich das in zwei Punkte aufteilen möchte, einen positiven und einen negativen. Positiv ist die Reisetauglichkeit des EQE. Er liegt sehr komfortabel auf der Straße und man sitzt unglaublich bequem. Ein Auto, was für die Langstrecke entwickelt wurde. Allerdings komme ich von einem Tesla Model Y Performance und die 215 kW (292 PS) sind nicht wenig, aber …
- … der EQE fährt sich allgemein etwas zu entspannt. Selbst im Sport-Modus ist das alles eher ruhig und gelassen. Ich vermute mal, dass der normale EQE nicht zu viele Kunden von der teuren AMG-Version weglocken soll, die mit Sicherheit richtig Spaß macht, aber in der Elektromobilität ist man in dieser Preisklasse eben mehr gewohnt. Der Vergleich hinkt zwar etwas, aber günstigere Modelle wie ein Tesla Model 3 Performance oder BMW i4 M50 bieten diese Performance eben. In meinen Augen ist es in dieser Preisklasse eine veraltete Denkweise, wenn man sich die Power für die Sport-Modelle aufhebt. Unterschiede ja, aber nicht so gravierend.
- Dafür punktet der EQE bei der Reichweite. Vergessen wir auch einfach mal die WLTP-Angaben, denn der Alltag zählt. Und selbst jetzt im Winter sind das beim EQE über 400 km, ja sogar teilweise bis zu 500 km. Es ist nach dem Tesla Model 3 Long Range das zweite Elektroauto, bei dem ich sagen kann: Das reicht mir. Wir sind an einem Punkt, mit dem ich zufrieden bin. Und es zeigt auch schön, dass dieser SUV-Trend eigentlich komplett dumm mit Blick auf den Wandel der Branche ist, denn Limousinen sind die effizienteren Autos.
- Bei der Ladeleistung ist das kein Taycan mit 800-Volt-System und ich weiß auch nicht, warum Mercedes beim EQE einfach mal 30 kW im Vergleich zum EQS streicht (alte Denkweise), aber die 170 KW sind okay. Ich habe da auch mal ein paar Ladekurven analysiert und bis 50 Prozent Akkustand gibt es gut und gerne die 150 kW. Ich musste das ehrlich gesagt nicht ausreizen, denn ich habe den EQE nicht so schnell leer bekommen und wenn man das etwas plant und AC-Lader (bis zu 11 kW) in den Alltag einbaut, muss man eigentlich kaum noch an den Schnelllader.
- Kommen wir zu MBUX und da werden mich sicher gleich Mercedes-Fahrer in den Kommentaren angehen. Gefällt mir nicht so gut. Objektiv gesehen ist der Funktionsumfang okay und die Navigation mit Ladeplanung ebenfalls. Doch das System war bei mir oft träge und hakte hier und da und es sieht für mich wie ein Windows Media Player von Windows 7 aus. Etwas flotter und eine „flache“ Designsprache, wie man sie in der heutigen Zeit kennt, wäre schön. Dafür ist das große Display in der Mitte wirklich gut und ein tolles Display für Apple CarPlay, was ich die meiste Zeit genutzt habe.
- Weitere Punkte? Kommen wir zum Innenraum. Das Platzangebot ist hervorragend. Man sitzt bequem und ich hätte mit 1,90 m nicht nur hinter mir Platz, sondern gut Platz. Solltet ihr den EQE bestellen, dann aber bitte nicht mit diesem hellen Stoff. Der Innenraum sah nach einem Tag furchtbar aus und vor allem der Fußraum muss dunkel sein. Über die Optik mit viel zu vielen LED-Streifen und unterschiedlichen Materialien sprechen wir hier nicht, wenn ich meine Frau zitieren würde, müsste ich das unkenntlich machen. Über Geschmack kann man nicht streiten, clean und modern wirkt es jedenfalls nicht.
- Doch so gut der Innenraum auch aufgebaut ist, der Kofferraum ist es nicht, er ist für ein fast 5 Meter langes Auto sehr bescheiden (380 l) und einen Frunk gibt es auch nicht. Statt Frunk gibt es einen Feinstaubfilter vorne, ich hätte als Kunde aber lieber die Wahl, denn so muss man die dreckigen Ladekabel im Winter in den Kofferraum neben die Einkäufe legen. Es gibt auch ein Fach im Kofferraum, aber da kommt man nur dran, wenn nichts im Kofferraum ist. Keine gute Lösung und ein Frunk ist für mich bei einem so großen Auto eigentlich Pflicht.
- Den Abschluss macht eines meiner Lieblingsfeatures bei einem Elektroauto: One Pedal Driving. Geht man vom Pedal, greift die Rekuperation und man wird langsamer, ohne die Bremse zu betätigen. Das klappt im Alltag gut und man kann das mit Wippen am Lenkrad einstellen, genau so mag ich das, denn auf der Autobahn lasse ich lieber rollen, das ist dann effizienter. Leider bleibt der EQE auch bei der stärksten Rekuperation nicht komplett stehen. Man kann also nicht komplett auf die Bremse in der Stadt verzichten und somit ist das nur ein halbgares One Pedal Driving. Was ich schade finde, denn wenn man schon mehrere Modi und Wippen dafür hat, dann kann man doch eine Option einbauen, die das bietet. Muss man als Kunde ja nicht nutzen, ich würde aber gerne komplett zum Stillstand kommen.
Mercedes-Benz EQE: Mein Fazit nach 2 Wochen
Der Mercedes-Benz EQE ist technisch ein hervorragendes Elektroauto. Eines der besten, die ich bisher gefahren bin. Hohe Reichweite, Limousine, bequem. Doch in dieser Preisklasse erwarte ich noch ein bisschen mehr von einem Premium-Modell.
Schwammige Plastikknöpfe gehören da nicht ins Auto und die Touch-Steuerung auf dem Lenkrad ist miserabel. So deutliche Worte finde ich hier selten, aber das ist für mich sogar noch schlechter, als bei den ID-Modellen von Volkswagen umgesetzt.
Und ich weiß, dass Mercedes-Käufer über die Qualität von Tesla lächeln, aber ich komme vom Model Y Performance und das hat zwar nicht so viele Tasten, doch die haben gute Druckpunkte und sind teilweise aus Aluminium und sehr hochwertig.
Die Basis stimmt, technisch sind die ersten zwei EQ-Elektroautos mit Plattform (ich bin auch schon den EQS gefahren) gelungen. Doch sie sind teuer, sehr teuer. Und da erwarte ich mehr. Eine noch bessere Software, mehr Performance in dieser Preisklasse, einen Frunk als Option und eben einen qualitativ besseren Innenraum.
Mercedes hat ab 2024 drei neue Elektro-Plattformen und eine neue Software geplant. Das ist ein solider Anfang, aber wenn man bedenkt, dass wir hier gut und gerne schnell über 100.000 Euro sprechen, dann ist noch etwas Luft nach oben.