Zwischenruf: Ist Apple Music großartig geworden?

Kommentar

„In euren Playlisten stehen 25 Millionen Songs bereit, aber ihr hört immer den selben.“ Diese Erkenntnis aus einer Mobilfunkwerbung ist weise und witzig zugleich. Und sie trifft zu – auch bei mir. Aber es ist mein Recht so uninspiriert zu sein und ich darf trotzdem optimale Performance verlangen. Begleitet mich doch auf ein paar Sätze zu meiner persönlichen Apple-Music-Alles-neu-macht-iOS-10-Erfahrung. Nicht objektiv, nicht repräsentativ und höchst persönlich. Vielleicht erkennt sich jemand darin wieder, aber wahrscheinlich nicht.

Ich hatte mir von Apple Music viel erwartet: Es sollte die Abhängigkeit von anderen Streamingdiensten, allen voran Spotify, das mir als Unternehmen aufgrund persönlicher Erfahrungen einfach nicht besonders liegt, beenden und eine voll ins Betriebssystem integrierte, abgerundete Musikerfahrung bringen.

Dass das im ersten Anlauf nicht wirklich zufriedenstellend gelang, ist inzwischen Allgemeinwissen. Das hatte schließlich auch Apple erkannt und versprach Abhilfe. iOS 10 und MacOS 10.12 / iTunes 12.5 sollten alles besser machen. Wie gut ist das für mich gelungen? Ich beziehe mich hier nur auf iOS 10.

Es läuft endlich

Bislang wirkte Apple Music am iPhone nie besonders flüssig und stabil. Es fehlt die Spritzigkeit von Spotify. Wie auch immer sie es machen, aber dort fängt ein Song quasi augenblicklich beim Klick an abzuspielen. Auch geringe Bandbreiten handhabt der Client souverän, obgleich er mit dem Arbeitsspeicher sehr verschwenderisch umgeht. Das führt dazu, dass bei mir, der grundsätzlich jedes System am physischen und softwaretechnischen Limit betreibt und auch nicht einsieht davon abzulassen, dazu, dass schon ein kurzes Verlassen der App diese vom System zum Abschuss freigab.

Diese Eigenschaft hat Apple Music unter iOS 10 ein wenig übernommen, ist dafür aber auch performanter geworden.

  • Songs beginnen zwar nicht so instant wie bei Spotify, aber doch zügiger zu spielen.
  • Die App stürzt beim Durchstöbern von „Für dich“ und co. nicht mehr so häufig einfach ab.
  • Die Nutzererfahrung ist etwas konsistenter.

Mediathek wieder im Fokus

In Cupertino haben sie keine Ahnung, aber sie versuchen es trotzdem weiter: Dieser leicht abgewandelte Satz beschreibt perfekt, wie ich Apples von hoch geschätzten Musikexperten zusammengestellte Playlisten wahrnehme. Und hier zumindest weiß ich: Diese wirkten nicht nur auf mich häufig chaotisch, planlos und somit wenig verlockend. Dann noch Apples nach wie vor glückloses Beats 1 dazugeklatscht, da vergisst der Hörer doch glatt, dass er eigene Musik hat, dachte man sich wohl.

Falsch gedacht: Viele ärgerten sich darüber, dass die eigene Mediathek förmlich in die Ecke gedrängt worden war. Das hat Apple mit iOS 10 in Ordnung gebracht. Die neue Oberfläche bringt eine neue Einheitlichkeit zurück, die in der Offline- als auch der Online-Mediathek gleich bleibt. Es wird wieder deutlich, dass Apple Music in erster Linie die Musik eines Nutzers präsentieren soll. Erst dann kommen Radiostationen, Charts und Empfehlungen, so sollte es sein.

Da hat Apple dann auch gleich Connect beerdigt. Das wollte und wollte einfach nicht Fahrt aufnehmen und wenn man einigen Künstlern glauben kann nicht nur, weil die Musiker nicht wollten. Viele sind beim Versuch Beiträge und Medien zu posten einfach am Connect-Interface verzweifelt und werden vielleicht nie wieder Musik machen. Gut, das war überspitzt, aber im Ernst: Habt ihr schon mal spannende Posts eurer Lieblingsband in Connect gesehen? Dann habt ihr mir etwas voraus.

Apple Music laggt noch immer etwas. Durch das häufige Verschwinden der App aus dem Arbeitsspeicher muss ich sie recht häufig wieder laden und die zuletzt gehörten Songs oder Playlists aufrufen. Selbst ein reines Shufflen aller Songs nur mit den Headsettasten, wie ich es früher gerne tat – aus reiner Faulheit – geht nicht mehr ohne weiteres, weil Apple Music dann zu oft einfach auf alle Songs, auch die nicht geladenen Titel, zurückfällt.

Ich habe, wie eingangs erwähnt, eine riesige Mediathek, zu groß für das alte iTunes Match, davon sind tausende Duplikate oder mir noch nie untergekommen. Ich werde sie jedoch nicht aufräumen, nur damit ein Abspielautomat besser damit zurecht kommt. Man hatte mir unendliche Musik versprochen und ich neige dazu einzufordern, was man mir verspricht.

Algorithmen sind die besseren Redakteure?

Der Ansatz von Apple und Spotify unterscheidet sich doch recht deutlich, aber beide setzen sowohl auf menschliche Redakteure, als auch auf automatisch anhand des Hörergeschmacks generierte Playlisten. Meine Eindrücke von beiden Diensten sind wenig einheitlich. Bei Spotify gefallen mir die redaktionellen Playlists meist besser als deren Gegenstücke bei Apple Music, der automatische Mix trifft meinen Nerv indes kaum.

Umso überraschender, dass mir der neue Mix von Apple Music fast in Gänze zusagte, als ich ihn erstmals ausprobierte. Keine Ahnung warum und wieso, aber gut gemacht, für mich. Wie empfindet ihr die Qualität von Auto-DJ und Musikredakteuren bei den beiden Branchengrößen?

Augen reiben

Unter iOS 10 hält etwas Einzug, was ich mit Jugendzeiten und Winamp verbinde. Winamp, ihr wisst vielleicht noch, das war dieser Tausendsassa-Player, damit konnte man via Plugins sogar recht professionell Radiostationen betreiben oder als DJ auftreten. Da gab es ein Plugin, das in einem extra Fenster fast zu jedem Song die Lyrics von songtext.net eingeblendet hat, sogar mit synchronisiertem Blättern, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt. Das war, mal überlegen, 2004, 2005?

Nun hat es immer wieder mal Apps und Ergänzungen gegeben, die Ähnliches vollbringen. Ich hatte ein mal einen Player unter iOS, der auch auf eine Songtextdatenbank zurückgriff, da gab es Musikdateien, die hatten den Songtext statt Album-Art eingebettet und der war dann in der Musik-App zu sehen. Aber eine vernünftige Integration von Lyrics sahen wir bis heute nicht. Warum bloß? Was vor 14 Jahren am Desktop ging, sollte heute auf jeder Mikrowelle laufen.

Irgendwann hatte ich mal gelesen, dass die Songtextanzeige auch ein lizenzrechtliches Problem darstellt. Na und? Dann soll Apple die größte und beste Datenbank halt kaufen, wie teuer dürfte das sein? Fünf Millionen, 10 Millionen, viel mehr ist sie sicher nicht wert. Und sollte Cupertino ein rundum gelungener Player diesen Betrag nicht wert sein, wenn man für ein Vielfaches davon schon eine Radiostation aufzieht, die niemand hört?

Immerhin, nun ist die Songtextanzeige da, wenn sie auch noch längst nicht die Vollständigkeit meines alten Winamp-Plugins erreicht hat.

Da müsste Musik sein

Im Fazit lässt sich sagen, ja, Apple Music ist besser geworden – deutlich besser für mich und meine Nutzungsgewohnheiten. Perfekt ist es noch nicht. Das hat wohl auch Jimmy Iovine erkannt. Der ehemalige Beats Music-Manager, der nun bei Apple arbeitet, ist ein wenig bescheidener geworden. Vom leichten Größenwahn früherer Tage bleibt eine immer noch selbstbewusste Grundhaltung, die aber ein wenig mehr Konjunktive enthält: Apple Music kann großartig werden.


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