Abgestürzt: Der deutsche Spieleentwickler Daedalic Entertainment


Das deutsche Entwicklerstudio Daedalic Entertainment mit Sitz in Hamburg hat in den letzten Jahren eine bewegte Geschichte hinter sich: Mit dem düster-humorvollen Adventure „Edna bricht aus“, The Whispered World und der Deponia-Reihe hat sich das Unternehmen in der Spieleszene einen Namen gemacht. Beim letzten Spiel „Der Herr der Ringe: Gollum“ hat sich das Unternehmen allerdings so übernommen, dass es krachend gescheitert ist und die Entwicklungsabteilung komplett aufgelöst wurde.
Der Spieleentwickler Daedalic existiert nicht mehr
Das Spiel, das als „erster großer Blockbuster“ des Studios geplant war, wurde bei seinem Erscheinen derart mit negativen Kritiken über Bugs, Abstürze, falsche Werbeversprechen, mangelhafte grafische und technische Umsetzung überschüttet, dass es zu einem der schlechtesten Spiele des Jahres wurde – vom Marketing her wurde das Spiel mit den Franchises Uncharted und Tomb Raider verglichen.
„Our game is true to the lore created by Professor Tolkien for which we are very proud. This narrative adventure is a treat for all fans of The Lord of the Rings and players can look forward to meeting both new faces and old friends!“ – Carsten Fichtelmann, CEO of Daedalic Entertainment
Die Nachricht von der Schließung der Entwicklungsabteilung kam nur knapp einen Monaten nach der Veröffentlichung von Der Herr der Ringe: Gollum – doch hinter den Kulissen spielte sich wohl mehr ab als nur ein geflopptes Spiel.
Die Probleme hinter den Kulissen waren immens
Die Gaming-Show „Game Two“, eine Produktion der Rocket Beans, hat dazu eine investigative Reportage produziert, die die Hintergründe der Schließung beleuchtet. Darüber hinaus kommen einige Spiele-Redakteure und ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Wort, darunter auch Jan Baumann, der Mitbegründer von Daedalic.
Es geht um Praktikantenverträge, deren Bezahlung geschickt umgangen wurde, es geht um unbezahlte Überstunden (Crunch-Time) und um eine immer schlechter werdende, fast schon vergiftete Arbeitskultur, die letztlich zu einer Kündigungswelle geführt hat. Eine interne Mail aus dem Jahr 2016 mit folgendem Wortlaut sticht in diesem Zusammenhang besonders ins Auge:
Wir werden Überstunden künftig weder ausbezahlen noch abbauen lassen. Stundenkonten werden nicht geführt. Mehrarbeit ist ein völlig normaler und gängiger Parameter in unserer Industrie. Bei der Produktion von Software und insbesondere von Spielen sind Crunchzeiten der Regelfall.
Die Spielregeln bezüglich Arbeitszeiten werden offen kommuniziert. Jeder der damit nicht einverstanden ist oder damit nicht leben kann und will, darf das Recht auf freie Arbeitgeberwahl nutzen.
In der Reportage heißt es weiter: Das Projekt sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, da das Produktionsbudget bei rund 15 Millionen Euro gelegen habe, was für ein Projekt dieser Größenordnung für eine bekannte Marke vergleichsweise sehr wenig sei. Zudem waren insgesamt nur 85 Personen am Gesamtprojekt beteiligt, was bei AAA-Spieleprojekten sehr wenig ist.
Die Entwicklung ging auch mit technischen Problemen einher
Darüber hinaus traten an verschiedenen Stellen Schwierigkeiten auf, die die Entwickler von Daedalic vor kaum lösbare Probleme stellten: So gab es keine Erfahrung mit der Entwicklung des Modells der Spielfigur Gollum – er ist kein Zwei-, sondern ein Vierbeiner. Den Aspekt des Vierbeiners technisch sauber in das Spiel zu integrieren ist programmtechnisch „schwieriger“ zu realisieren und es war ein „höllischer Aufwand“, eine gute Kollisionsabfrage mit der Spielumgebung zu gewährleisten.
Die Reportage zeigt auch die Entwicklungsschwierigkeiten rund um A Year of Rain, aber auch den großen Erfolg als Publisher und den Verkauf des Unternehmens zunächst an die Bastei Lübbe AG und dann an das französische Unternehmen Nacon. Wer knapp 40 Minuten Zeit hat, kann sich die Reportage hier anschauen:
Mit Daedalic ist leider eines der ohnehin zu wenigen Entwicklerstudios in der deutschen Games-Szene verloren gegangen und das, obwohl die Games-Branche jedes Jahr neue Rekorde feiert. Wer die Schuld und letztlich auch die Verantwortung dafür trägt, darüber will ich hier nicht urteilen.
Ich finde es aber schade, dass eine Firma mit vielen kreativen Leuten, die durchaus das Zeug dazu gehabt hätte, dem leicht rückläufigen Genre der Point-and-Click-Adventures neue Impulse zu geben, für immer verschwunden ist.
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Sehr interessanter Artikel, da ich letztes Jahr auf Games und Lyrik an einer ganzen Artikelserie zu Daedalic Entertainment gearbeitet habe. Ich werde mich nächste Woche nochmal ransetzen und auf diesen Artikel verlinken. Sehr informativ. Daumen hoch 😃
Die "Gaming-Show" von Rocket Beans heißt "Game Two".
Soviel Recherche sollte doch drin sein.
Ausserdem wäre ein Link auf deren Youtube Video angebracht wenn man deren Arbeit schon oberflächlich zitiert.
Du hast den Beitrag aber angeschaut und das eingebundene Video gesehen?
Bin bei "Gaming-Show" schon Richtung Kommentar gewandert.
Video hab ich damals als es rauskam schon gesehen.
Ist ne wirklich interessante Geschichte und zeigt wie verrückt die Branche mittlerweile geworden ist oder immer so war ohne das wir Gamer das so mitbekommen haben.
Bitte korrigiert das mit der "Gaming-Show". Ich bin der Meinung das "Game Two" hier namentlich genannt werden muss, da diese immerhin die ganze Arbeit mit der Reportage hatten.
Danke für den Hinweis!
Game Two als Zusatzinfo wurde entsprechend eingefügt. :)
Die Entwicklerstudios sind gefühlt (subjetive Meinung!) allesamt kein einfaches Geschäft und stinken oft vom Kopf her. Unterdrückung von Betriebsräten, vergleichbar geringes Gehalt für Softwarentwickler und die angesprochene Crunch-Time.
Habe drei Kumpels, die vor Jahren allesamt für Daedalic gearbeitet haben. Bin nicht so mit der Materie verwachsen, aber durch die Erzählungen hier und da etwas dichter dran gewesen.
Man kann so viel sagen, dass Entwickler:innen aus einem Grund zu Entwicklerstudios gehen: Leidenschaft.