jolla und Sailfish OS vorgestellt

Gastbeitrag

Ich nehme mir etwas Zeit, um den Lesern hier meine Eindrücke nach etwas über einem Monat mit dem ersten Smartphone des finnischen StartUps jolla kund zu tun. Ich versuche, ein möglichst objektives Licht auf das Gerät und dessen Betriebssystem Sailfish zu werfen, lasse aber auch meine subjektive Meinung einfließen.

1. Hardware

Dass das Smartphone rein von den technischen Daten her nicht mit aktuellen Smartphones der grossen Unternehmen mithalten kann, sollte hinlänglich bekannt sein. Die DualCore-CPU, ein mit 1.4GHz getakteter Snapdragon 400 von Qualcomm, dürfte Enthusiasten direkt abschrecken. Darum geht es aber beim Gerät primär auch gar nicht. Wer darauf achtet und dies für ausserordentlich relevant hält, wird sich ein anderes Gerät kaufen. Warum die CPU eine sekundäre Rolle spielt, erläutere ich später, wenn ich auf das OS eingehe.

Die Front ist komplett in schwarz gehalten und bietet einen Annäherungssensor, ein 4.5″ IPS qHD-Display mit 960×540 Pixeln im 16:9-Format, eine 2MP Kamera und ist bis auf den Kunststoffrahmen komplett mit einem Gorilla Glass 2 abgedeckt. An der Stelle, an der beim iPhone ein Button ist, befindet sich eine mehrfarbige Leuchtdiode.

Auf der Unterseite lassen 2×4 kleine Schlitze auf Stereolautsprecher schliessen, allerdings ist lediglich auf der einen Seite ein Lautsprecher verbaut. Die andere Seite dürfte das Mikrofon beherbergen. Schade!

Die Lautstärke-Tasten rechts sind angenehm zu bedienen, wackeln aber minimal. Das stört aber nicht. Dasselbe gilt für den darüber liegenden Power-Button.
Die Oberseite bietet die einzigen Anschlüsse, dies sind eine USB 2.0- sowie Kopfhörerbuchse. Ebenfalls auf der Oberseite ist ein winziges jolla-Logo zu sehen sowie ein nadelgrosses Loch, üblicherweise verbirgt sich hinter sowas ein Mikrofon zur Lärmunterdrückung.

Kommen wir zur „The Other Half“ genannten Rückseite. Der weisse Deckel bietet eine 8MP-Kamera mit Autofokus sowie einer LED. Ausser einem weiteren, grösseren jolla-Logo ist die Rückseite blank. Vorbesteller erhielten daneben noch eine PoppyRed genannte TOH, die zusätzlich den Aufdruck „The first one“ trägt. Unter dem Deckel befindet sich die austauschbare Batterie und die Schächte für die Micro-SIM- sowie MicroSD-Karte (unterstützt werden derzeit Karten bis 64GB).

Die linke Seite des Geräts ist als einzige blank.

Die Verarbeitung des Geräts ist meiner Meinung nach OK. So ist alles sauber verarbeitet, allerdings kommt wirklich ein echtes Plastic-Fantastic-Feeling auf. Ich bin fast schon geneigt zu sagen, man fühlt, dass das Gerät in China hergestellt wird. So lässt es sich nicht vermeiden, dass die biegsamen und sehr leichten Rückseiten hie und da zum Knarzen neigen. Es ist keinesfalls schlimmer als bei anderen Kunststoffgeräten, die in China hergestellt warden. Wer aber ein Nokia N9 schätzen gelernt hat, der wird durchaus die Nase rümpfen. Von dessen Verarbeitung ist es meilenweit entfernt. Schade! Zudem ist es für meinen Geschmack zu rutschig. So ist es mir schon öfters beinahe entgleitet. Die Grösse ist für mich zudem hart an der Grenze: Grösser würde ich das Gerät auf keinen Fall haben wollen. Auch hier stellt für mich das Nokia N9 das Optimum dar.

Dafür ist es ausserordentlich leicht. Jeder, der es in die Hand nimmt, ist über das geringe Gewicht erstaunt

2. Hardware, The Other Half (TOH)

Wie gehabt, hatte ich in meinem Lieferumfang zwei TOHs. Die standardmässige weisse, sowie der PoppyRed (eher orange) genannte Limited Edition Deckel. Sinn und Zweck der wechselbaren Rückseiten ist, dass man das Gerät mit beliebigen Features nachrüsten kann. Beide mitgelieferten TOH’s besitzen einen NFC-Chip, der dem Gerät eine eigene „Ambience“ aufdrückt. Mehr tun sie leider nicht. Hier ist vor allen Dingen die Community gefragt, die bereits fleissig daran ist, neue TOHs zu entwickeln wie z.B. hier ein Prototyp mit rückseitigem OLED.

Die Community ist dabei sehr aufmerksam und nimmt die Wünsche der User auf wie ein Schwamm. Allerdings darf man auch von jolla selbst das eine oder andere TOH erwarten. Hier muss man einfach abwarten, was die Zeit bringt.

3. Sailfish OS

Nun kommen wir zu dem Teil, der eigentlich der Kaufgrund für ein jolla ist. Das Betriebssystem Sailfish. Hierbei handelt es sich um ein auf Linux-Kernel und Mer basiertes Open-Source-OS mit einer eigens von jolla entwickelten, gestenbasierten Oberfläche. Wer sich technisch weiter informieren möchte, dem empfehle ich, z.B. bei Wikipedia nachzuschauen. Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen, da es den meisten nichts bringt.

Nach dem ersten Einschalten kommt wie üblich zuerst ein Konfigurationsprozess. Hat man das Gerät einmal entsprechend konfiguriert (Länder- und Spracheinstellungen, Zeit etc.), wird man mit einem kurzen, gut verständlichen Tutorial mit der Gestensteuerung vertraut gemacht. Dies ist an sich nicht nötig, dient aber dazu, dass man gleich weiss, wie man was von welcher Richtung her auf den Screen bekommt und es nicht zuerst mit ausprobieren herausfinden muss. Näher darauf eingehen will ich an dieser Stelle nicht, zumal es dazu ausreichend Videos auf YouTube gibt, die die Bedienung ausführlich demonstrieren.

Tatsache ist, dass man es nicht beurteilen kann, wenn man es nicht selbst ausprobiert hat. Es zu erklären macht daher wenig Sinn. Ich wiederum kann nur anmerken, dass ich die Steuerung des Nokia N9 immer noch für überlegen halte. Hier darf jolla mit den sehr regelmässigen Updates gerne eine weitere Annäherung wagen.

Der erste echte Kaltstart von Sailfish geht mit rund 15 Sekunden ziemlich flott vonstatten. N9-User wissen, was ein langsamer Systemstart heisst. Sailfish befindet sich dann auf dem Multitasking-Bildschirm mit den vier bevorzugten Apps. In der Regel sind dies Anrufe, Messaging, Internet-Browser und die Kamera. Durch einen Wisch nach unten würde man den Lockscreen aktivieren, durch einen nach oben kommt man zu weiteren installierten Apps. Hier ist anfangs nicht wirklich viel installiert. jolla lässt dem User die Wahl, was installiert werden soll und zwingt keine Social-Media-Apps oder sonst für manch einen unnötige Apps auf. Lobenswert!

Zieht man jeweils vom Rand her in den Screen, so kommt von unten das Notification Center, von links und rechts lassen sich zur Zeit nur gespeicherte Ambiences einblenden und auswählen und von oben schliesst man wie gewohnt laufende Apps.

War ich jedem jolla Neukunden dringendst anrate ist, den Developer Mode sofort nach dem ersten Start des Geräts zu aktivieren. Da Sailfish noch im Beta Stadium ist, wird dieser im Falle von Problemen essentiell. Mit einfachen Befehlen lässt sich damit ein festgefahrenes Gerät innert Sekunden wieder zum voll funktionstüchtigen Gerät setzen, ohne dass man Einstellungen verliert.

4. Apps: Yandex Store & Google Play Store in unter 3 Minuten

Ein Kaufgrund für die meisten stellen die Apps dar. Hier ist für jolla derzeit noch nicht sonderlich viel vorhanden – bezieht man sich ausschliesslich auf Sailfish-native Apps. Doch es tut sich was und der jolla Harbour genannte Store fullt sich mit immer mehr kreativen und oft auch sehr guten Apps, die zudem in sehr kurzen Abständen Updates erhalten. Zur Zeit ist noch alles kostenlos. Dies beinhaltet u.a. Basics wie Here Maps, Kalender, Rechner, Uhr, Email, Mediaplayer, Notes, Dokumente. Darüber hinaus sind bereits auch Dinge wie Tethering App, Screenshot

Für die meisten Leser hier von grösserem Interesse dürfte die Fähigkeit sein, Android Apps laufen zu lassen. Und hier muss ich jolla wirklich ein Lob aussprechen.

Der Yandex-Store wird mit der Installation der Android-Kompatibilität via Harbour Store aktiviert. Danach meldet man sich beim Yandex Store an und schon kann’s mit den Downloads von rund 80’000 Apps losgehen. Und meiner Erfahrung nach läuft bisher alles, was ich so ausprobiert habe, tadellos.

Wer auf Games wie Angry Birds Go oder Temple Run 2 und dergleichen steht, der wird mit dem Yandex Store allerdings nicht wirklich glücklich. Aber das ist kein Problem. In drei Minuten ist der Google Play Store installiert und bietet damit auch die ganze Fülle an Android Apps. Und wie oben schon erwähnt, das ganze läuft einwandfrei und bisher ist mir keine App untergekommen, die nicht läuft.

Somit hat die Splittergruppe ehemaliger Nokia-Angestellten auf einen Schlag mehr Apps für ihr Premieren-Smartphone als Nokia mit Windows Phone nach 3 Jahren.

Android-Apps werden wie bei Android selbst über den App-Switcher geschlossen oder verwaltet, sind aber vom nativen Sailfish OS App-Screen zu starten. Diese laufen dann in Myriad’s Dalvik-VM. Insofern besteht da kaum ein Unterschied zur Dalvik-VM unter Android.

Sailfish Apps dagegen sind voll multitasking-fähig und können auch vom Multitasking-Screen aus gesteuert werden. Diese Fähigkeit geht den Android-Apps natürlich ab. Auch Android-Widgets sind zur Zeit nicht zu verwenden, aber auch da ist die Community dran und es wird in Kürze die Möglichkeit geben, auch Widgets zu verwenden. Wer es denn braucht.

5. Vorläufiges Fazit

Ganz klar. Das Gerät, so wie es zur Zeit ist, zielt auf experimentierfreudige User, Linux-fans und Open Source-Anhänger ab. Die breite Masse dürfte am Beta-Status von Sailfish OS wenig Freude haben. Aber wer aktuell einsteigt, ist Teil einer tollen Community, die ihresgleichen sucht. Wer auf

together.jolla.com

vorbei schaut, kriegt eine Ahnung davon, wie lebendig jolla und Sailfish wirklich ist. Es wird immer Kritiker geben, für die nur die Marktkapitalisten wirklich zählen. Wer acht Kerne braucht, um sich gut zu fühlen, ist hier mit Sicherheit am falschen Platz. Wer sich jedoch von Zwängen befreien will, wird auch schnell verstehen, was jolla so #unlike macht. Schon jetzt bietet Sailfish OS kleine Details, die sehr erfreulich sind. Und wer gute Vorschläge hat, kann sie mitteilen und mit entsprechender Zustimmung anderer Community-Teilnehmer wird es den Weg ins OS finden.

Eure Fragen beantworte ich gerne im Kommentarbereich. Auch eure Meinung sowie allfällige Erfahrungen sind willkommen.


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